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AutorenbildBernadette Hartl

Aller(schein)heiligen

Schon als Kind habe ich dieses Tamtam rund um Allerheiligen und Allerseelen verabscheut. Die reiche Verwandtschaft mit der Villa in Pörtschach kam zu Besuch – demnach wurde drei Tage vorher schon gekocht, gebacken, geputzt… Der erste November war mir nur deshalb so halbwegs sympathisch, weil ich nicht in die Schule musste und somit ausschlafen konnte. Ein Privileg was mir an wenigen Tagen meiner Kindheit gelungen ist da ich immer für irgendwelche Knechtereiarbeiten eingeteilt wurde. Zu Mittag trudelten dann die Onkel und Tanten ein und es gab traditionsgemäß das „Gstatan-Essen“ (Totenmahl, Leichenschmaus) Rindfleisch mit Ardpirn (Kartoffeln) und Kren. Man kann sich vorstellen, wie sehr mir dieses Essen als Kind schmeckte. Was mir aber noch weniger schmeckte war die heile Welt, die an diesem Tag wieder vorgegaukelt wurde. Alle warfen sich in ihre Nerzmäntel und schminkten ihr Gesicht auf damit sie glänzten wie Zirkuspferde. Man muss ja den Schein wahren, vor allem weil das Familienoberhaupt, bei dem ich leben musste als Dorfkaiser bezeichnet wurde und die Familie im goldenen Käfig sich auch dementsprechend in der Außenwirkung präsentieren musste. Und so zog ich widerwillig mein mir heraus gerichtetes Gewand an, damit ich ja anständig aussehe. Danach wurde ich noch streng frisiert – an das Zupfen des weißen Kammes mit den kleinen Zacken in meinen verfilzten Haaren erinnere ich mich heute noch zurück und zu guter Letzt trotteten wir alle mit aufgesetztem Lächeln zum Friedhof. Unser Dorfpfarrer war nie pünktlich und so standen wir halb erfroren stillschweigend ums Grab herum. Es war eiskalt, aber damit meine ich nicht nur die Außentemperaturen, sondern auch die Stimmung der "Familie". Das Grab meiner Scheinfamilie war in der letzten Reihe des Friedhofs. Netterweise hat man dort eine kleine Gedenktafel für meine Mama hingestellt da sie dort nicht beerdigt wurde. Ich stand da also und musste meinen Urgroßvater und meiner Urgroßmutter gedenken, welche ich nie kennen gelernt habe und welche ja auch mit mir gar nichts zu tun hatten da mein Ziehvater ja nicht mein Erzeuger war. Also im Grunde stand ich da mit fremden Leuten an einem Grab von fremden Leuten. Wenn ich heute so darüber nachdenke, ist es schon sehr eigenartig, aber ich verstehe wenigstens das Gefühl, welches ich damals hatte. Es war ein Gefühl des nicht dazu Gehörens, Kälte, Ablehnung. Ich fühlte mich meine ganze Kindheit wie ein Außenseiter, und an solchen Tagen ganz besonders. Je mehr ich mich so umdrehte und umschaute desto eher war ich der Meinung, dass dieses ganze Friedhofsaufgebot was sich an diesem Tag abspielte die reinste Modenschau war. Jeder war wie aus dem Ei gepellt, viele bestimmt noch extra einen Tag davor beim Frisör. Schon damals empfand ich es als extrem scheinheilig nur an diesem Tag am Grab zu stehen und gedenken zu müssen/dürfen/sollen. Als der ganze Spuk vorbei war ging es ab ins Gasthaus. Das war auch so eine Art Tradition, die ich nicht besonders mochte. Aber der Wirt und seine Frau zählten zu den wenigen Personen, die immer sehr nett zu mir waren, daher empfand ich das als einigermaßen erträglich. „Zu Hause“ gab es dann abends Selchwürstl und meine Aufgabe bestand darin immer in den unheimlichen Keller zu gehen, um den Most-Krug aufzufüllen und die reiche Verwandtschaft ordnungsgemäß zu bedienen.


Grundsätzlich sei gesagt, es war ein Tag auf den ich gerne verzichtet hätte. Von einem wirklichen wahrhaftigen und ehrlichen Gedenken war nie auch nur die kleinste Spur. Über meine Mama durfte ich nicht reden, weil meine Stiefmutter das nicht mochte und weil mir verklickert wurde, dass sich das auch nicht gehört. Daher kommt wahrscheinlich auch meine Ablehnung zu allem was unter den Teppich gekehrt wird. Ich war als Kind immer viel am Friedhof warum weiß ich heute gar nicht mehr so genau. Wahrscheinlich, weil ich die Ruhe dort mochte. Ich drehte unzählige Runden durch die Gräberreihen und sah mir alles genau an. Und so fiel mir natürlich auch auf, dass viele Gräber total verwahrlost waren. Es wucherte das Unkraut, es brennte so gut wie nie eine Kerze, niemand kümmerte sich um so manche Grabstätte. Aber hey, ein paar Tage vor Allerheiligen da wurde dann schnell alles schön gemacht, ein übergroßes Gesteck hinaufgeprotzt und die Modeschaufensterpuppen waren dann auch einmal im Jahr präsent. Ich denke jeden Tag an meine Lieben, die nicht mehr hier bei mir sind und somit brauche ich keinen Tag im Jahr wo mir vorgeschrieben wird bzw. ich daran erinnert werde, dass ich doch bitte gedenken soll oder muss. Wenn für euch der 1.11. eine Bedeutung hat, dann nutzt ihn vielleicht bewusst dafür, euch zu erinnern und daran zu denken eure Verstorbenen vielleicht öfters in eure Gedanken zu holen und nicht nur am heutigen Tag. Mir wurde Samhain mit der Zeit viel sympathischer. Der Legende nach ist die sogenannte „Andere Welt“ an diesem Tag offen. Gleich wie an Imbolc (1. Februar), Beltane (1. Mai) sowie Lughnasadh (1.August). Es gibt also nicht nur in unserem Herzen für unsere Verstorbenen einen Platz, sondern auch in unserem Haus.


PS: Zwei Scheinheilige sind dreimal so gottlos wie einer. Peter E. Schumacher (1941 - 2013), Aphorismen Sammler und Publizist



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10.11.2024

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